Dienstag, 25. Oktober 2016

Anfänge

Man weiß ja, was man über Anfänge sagt, aber dass es am Ende immer noch viel schlimmer ist, das sagt einem natürlich keiner. Dieses innere Sortieren, positionieren und dann nicht vollständig überflüssig klingen wollen. Aber am Schluss braucht es primär Mut und den einen Moment, in dem man "ja" sagt, egal was man anfängt, ob Beziehungen oder einen Ort für Autoren, an dem sie Ideen abladen, Perspektiven tauschen und Sätze ausprobieren, abseits von Konventionen und Kontextfetischisten. Kreativität beginnt da, wo keine Einschränkungen sie ersticken, wo Befindlichkeiten und Klischees, Prosa und Lyrik, Naivität und Authentizität nebeneinander existieren dürfen und ernstgenommen werden.
Klar, klar kann man tagelang über Proust und Mann diskutieren und kilometerweite Schachtelsätze hin und her schieben, bis jeder einen schlauen Satz aus dem Zauberberg auswendig kann, für den Fall, dass auf der nächsten Party plötzlich ein Literaturwissenschaftler auftaucht, das bringt dann aber halt keinem was, außer geheuchelter Exklusivität. Also halten wir uns an echte Themen, schreiben über die kleinen Alltagslügen, die Schrammen und Funken, das verdammte Glück und Ernüchterung, also alles, was uns treibt.

Zeit, etwas ins Rollen zu bringen

Dienstag, 11. Oktober 2016

Zum Einstieg eine Kurzgeschichte

Der Ralf hat enttäuscht gefragt, ob die Schreibbohéme nur blitzgescheites Kulturgeschwafel in ihr Moleskine kritzelt und keine Kurzgeschichten einstellt.
Dem muss gleich widersprochen werden. Natürlich werden auch Texte reingestellt!
Ich fang mal an:

Wild und lustig

Wild und lustig. Wild und lustig sind wir. Sagen sie. Sind wir. Lust. Wild. Oder so. Was weiß ich. Wenigstens am Wochenende. Immerhin. Wer weiß, wie lange noch. 
Da stehen sie an der Bar. Dort tanzen sie. Wo sind wir eigentlich? München oder Wien? Eigentlich egal. Nachts sehen alle Clubs gleich aus. Ein Typ bestellt sich Gspritzten. Wien. Eindeutig Wien. 
Wo sind die anderen? Wieder auf dem Klo. Oder auf der Tanzfläche. Jetzt schaut sie mich an. "Noch ein Cuba Libre bitte." Ich mochte immer die Freiheit, die in diesem Getränk mitschwingt. Da, schon wieder dieses Lied. "Weiß irgendwer, von wem das ist? Scheiße Mann, wer ist das?" Wanda, war das nicht diese Schlampe? Wo ist eigentlich Greta? Vielleicht bei den anderen. Es ist spät. So spät auch wieder nicht. Es ist zu spät. Nicht für die anderen. Die haben die Jugend aus Löffeln gefressen und reiben sich Augen und Nase, wie geil ihr Leben ist und feiern sich dafür. Greta kann nichts dafür. Jung und schön. Scheiß Kombination. Aber sind sie nicht alle schön, wenn sie jung sind? Ja, feiert euch und eure Jugend. Ihr könnt mich mal. 
"Greta?" Da tanzt sie, die gespreizten Finger in der Luft, die Typen um sie herum. Die anderen werden sie mal heiraten und mit ihr Kinder kriegen. Solche Sachen denke ich um diese Zeit und denke darüber nach, warum ich sowas denke. Aber schön ist sie, wenn sie tanzt. Schön in diesem künstlich blinkenden Licht der Nacht. Licht, das alles anders macht. Ich werds den andern erst morgen sagen. Greta wird's schon irgendwie erfahren. Sie wird's toll finden. Die anderen werden es nicht kapieren. Greta schon. Aber sie wird sich nichts anmerken lassen. 
Die anderen sind halt so. Bierbong, Schnaps, ab aufs Klo, dann wieder Schnaps und am Schluss nur noch die Musik, mit geschlossenen Augen tanzend, Bierflasche in der rechten Hand. Die Tschick in der linken. Früher jedenfalls. Sowas kennen die andern gar nicht mehr.
Gretas Lippenstift schmeckte immer nach Erdbeer. Das war komisch. Das ist das einzige, was komisch ist an ihr. Und dass sie trotzdem gesagt hat, ich passe gut mit Marie zusammen. Das hätte sie nicht tun brauchen. Das war überflüssig, wenn auch nett gemeint. So kurz danach. 
Die anderen haben sowas nie gesagt. Aber die denken über sowas auch nicht nach. Für die ist es normal, am Sonntag in den ICE zu kotzen, oder den Tag in verdunkelten Schlafzimmern totzuschlagen bis das Hämmern in den Schläfen matter wird. 
Ich kann sicher nicht mit meiner Cousine schlafen. Verdammter Ohrwurm. Greta hat nur bedauert, dass Zeiten sich ändern. Dass es im Winter kälter ist als im Sommer und so Sachen. Ansonsten hat sie immer gesagt, das Leben soll so bleiben, wie es ist. Am liebsten für immer. Und dann hat sie zwei Sambuca auf einmal hinunter gekippt, die leeren Schnapsgläser auf die Theke geknallt und die Kaffeebohnen auf den Barkeeper gespuckt. Sowas liebe ich an ihr. Auf sowas muss man erstmal kommen. 
Das mit den anderen, das hatte sich so ergeben. Ich war damals schon eine Weile mit Marie zusammen. Es ist nicht so, dass mir langweilig war oder so. Aber es war immer lustig mit denen. Marie war's egal. Und als es ihr nicht mehr egal war, war das mit Greta längst da und das Leben wild. Und lustig. Was auch immer das bedeutet. Und verbieten lasse ich mir schon gleich gar nichts. Ist mir doch egal, ob das altersgemäß ist, oder nicht. Und peinlich hat es sich schon dreimal nicht angefühlt. 
Greta schaut mich so komisch an. "Nein, ich grüble nicht! Ich sinniere!" Als ob das einen Unterschied machen würde. Gretas Wangen riechen nach diesem Parfum, von dem sie weiß, dass es mich wahnsinnig macht. 
Ich frage mich, was sie sagt, wenn ich es ihr sage. Ob sie sagt, sie solle es wegmachen. Ob sie ausflippt oder so. Manchmal wünsche ich es mir. 
Aber Greta ist wie die anderen. Sie nehmen mich auf, ich bin ein Teil dieser Woge, Wochenende für Wochenende. Aber wenn ein Wassertropfen fehlt, verliert die Woge nicht an Wucht. Zwei Euro in das Phrasenschwein. 
Ich kann mir noch gar nicht vorstellen, wer ich dann bin. Und dass ich nichts gecheckt habe solange. Und warum sie so lange nichts gesagt hat. Viel geweint hat sie, aber so sind sie halt, die Frauen, dachte ich mir. Greta ist nicht so. Oder gibt sich nicht so. Nicht mir. Werd es nie herausfinden. Außer sie flippt auch aus, schlägt wie wild um sich, schreit und heult und fleht. Träumerei. Scheiße so oder so. 
"Ich? Cuba Libre. Was sonst?" Greta sieht am Morgen schöner aus als am Abend. Das wollte ich ihr immer sagen. Hab's aber vergessen. Jetzt ist es zu spät. Ihre Haare liegen dann wild und zerwurschtelt über ihre Wangen. Sie schaut mich an. Den Blick kenne ich. Ich könnte kotzen. Nicht heute. Nicht dieser Blick. Wer bist du eigentlich? Sofort sind sie wieder da, die Tiefgarage, der Park und dieses Appartement, in dem es immer nach Essen roch. Nach dem Abendessen der Familie im Parterre. Es roch immer so gut, dass einen der Geruch fast mehr freute, als das, was man drinnen erhoffte. 
"Marie ist schwanger." Ich sage es, ohne irgendeine Reaktion provozieren zu wollen. Ich sage es mehr als Transport einer Information. Ich sage es zu mir selbst, falls ich es bis jetzt noch nicht begriffen habe. Ich sehe, wie die anderen mich anstarren, als hätte ich die Krätze oder sowas. 
Greta lächelt. Sie umarmt mich. Sie küsst mich auf die Wange. "Der Jonas wird Papa! Wie schön! Gratulier dir!"

Sonntag, 9. Oktober 2016

Lass uns eine Schreibbohéme gründen!

In der deutschen Literatur war die "Gruppe 47" das Maß aller Dinge. Lasst uns deshalb eine neue "Gruppe 47" gründen!
Wie bitte? Völlig meschugge geworden? 
Schau dir doch die Typen mal an: Lauter verstrahlte, komplett humorlose alte Knacker und Nobelpreisträger. Und außerdem ist das Prinzip Autorenvereinigung sowas von 1947! Nee du, das ist nix für uns. Gab's da nicht später noch was anderes, was cooleres?
Eine coole Autorenvereinigung gab's leider nie. Aber einige der coolsten Autoren machten Anfang 2000 bei einer Internetseite mit, die hieß "Wir höflichen Paparazzi". Eigentlich wurden da nur seltsame Texte über Begegnungen mit Prominenten Online gestellt. Aber die Kommentare hatten es in sich und unter Decknamen machte damals eine supertolle Truppe von Autoren mit, die bis heute noch zum Beispiel beim Bachmannpreis für Gesprächsstoff sorgen. Vor allem, weil sie den Bachmannpreis und den gesamten archaischen Literaturbetrieb sowas von auf die Schippe nahmen. Das geschriebene Wort aber gleichzeitig sehr ernst.
Gut, die waren fast alle aus Berlin, Hamburg oder Wien. 
Aber kann man nicht auch vom Chiemsee aus sowas starten? Als sich letztens ein junger Schriftsteller beklagte, dass er nie in die Großstadt ging, fragte ihn der Indietronic-Künstler vom Nachbardorf: "Wieso? Hast du kein gscheites Internet?"
Stimmt eigentlich. 
Texte über seine Schreibprojekte, über die Bücher die man liest und Blogbeiträge über die Kulturszene kann man auch von zu Hause aus in die Welt schicken. Ach so, das machst du schon seit Jahren und kaum einer liest es? Dann frag doch mal deine Autorenkumpel, ob die mitmachen möchten. Am besten so junge Autoren, die schon einen der coolen Schreibwettbewerbe gewonnen haben. Die Puls Lesereise zum Beispiel. Oder den Wortlaut. Frag doch die mal. Wenn die mitmachen, dann werden sich auch interessante Leser finden. Und unter denen ist vielleicht einer dabei, der seinerseits mitmachen möchte...
Und wer sollte da mitmachen dürfen?  Also man muss jetzt nicht den kompletten Proust gelesen haben und beim Open Mike auf die Longlist gekommen sein. Vielleicht reicht es auch schon, wenn man definitiv NICHT bei der Gruppe 47 mitmachen möchte. Gibt's die eigentlich noch?

Das Manifest der Schreibbohéme

Der erste Beitrag: Eine Kurzgeschichte!