Dienstag, 11. Oktober 2016

Zum Einstieg eine Kurzgeschichte

Der Ralf hat enttäuscht gefragt, ob die Schreibbohéme nur blitzgescheites Kulturgeschwafel in ihr Moleskine kritzelt und keine Kurzgeschichten einstellt.
Dem muss gleich widersprochen werden. Natürlich werden auch Texte reingestellt!
Ich fang mal an:

Wild und lustig

Wild und lustig. Wild und lustig sind wir. Sagen sie. Sind wir. Lust. Wild. Oder so. Was weiß ich. Wenigstens am Wochenende. Immerhin. Wer weiß, wie lange noch. 
Da stehen sie an der Bar. Dort tanzen sie. Wo sind wir eigentlich? München oder Wien? Eigentlich egal. Nachts sehen alle Clubs gleich aus. Ein Typ bestellt sich Gspritzten. Wien. Eindeutig Wien. 
Wo sind die anderen? Wieder auf dem Klo. Oder auf der Tanzfläche. Jetzt schaut sie mich an. "Noch ein Cuba Libre bitte." Ich mochte immer die Freiheit, die in diesem Getränk mitschwingt. Da, schon wieder dieses Lied. "Weiß irgendwer, von wem das ist? Scheiße Mann, wer ist das?" Wanda, war das nicht diese Schlampe? Wo ist eigentlich Greta? Vielleicht bei den anderen. Es ist spät. So spät auch wieder nicht. Es ist zu spät. Nicht für die anderen. Die haben die Jugend aus Löffeln gefressen und reiben sich Augen und Nase, wie geil ihr Leben ist und feiern sich dafür. Greta kann nichts dafür. Jung und schön. Scheiß Kombination. Aber sind sie nicht alle schön, wenn sie jung sind? Ja, feiert euch und eure Jugend. Ihr könnt mich mal. 
"Greta?" Da tanzt sie, die gespreizten Finger in der Luft, die Typen um sie herum. Die anderen werden sie mal heiraten und mit ihr Kinder kriegen. Solche Sachen denke ich um diese Zeit und denke darüber nach, warum ich sowas denke. Aber schön ist sie, wenn sie tanzt. Schön in diesem künstlich blinkenden Licht der Nacht. Licht, das alles anders macht. Ich werds den andern erst morgen sagen. Greta wird's schon irgendwie erfahren. Sie wird's toll finden. Die anderen werden es nicht kapieren. Greta schon. Aber sie wird sich nichts anmerken lassen. 
Die anderen sind halt so. Bierbong, Schnaps, ab aufs Klo, dann wieder Schnaps und am Schluss nur noch die Musik, mit geschlossenen Augen tanzend, Bierflasche in der rechten Hand. Die Tschick in der linken. Früher jedenfalls. Sowas kennen die andern gar nicht mehr.
Gretas Lippenstift schmeckte immer nach Erdbeer. Das war komisch. Das ist das einzige, was komisch ist an ihr. Und dass sie trotzdem gesagt hat, ich passe gut mit Marie zusammen. Das hätte sie nicht tun brauchen. Das war überflüssig, wenn auch nett gemeint. So kurz danach. 
Die anderen haben sowas nie gesagt. Aber die denken über sowas auch nicht nach. Für die ist es normal, am Sonntag in den ICE zu kotzen, oder den Tag in verdunkelten Schlafzimmern totzuschlagen bis das Hämmern in den Schläfen matter wird. 
Ich kann sicher nicht mit meiner Cousine schlafen. Verdammter Ohrwurm. Greta hat nur bedauert, dass Zeiten sich ändern. Dass es im Winter kälter ist als im Sommer und so Sachen. Ansonsten hat sie immer gesagt, das Leben soll so bleiben, wie es ist. Am liebsten für immer. Und dann hat sie zwei Sambuca auf einmal hinunter gekippt, die leeren Schnapsgläser auf die Theke geknallt und die Kaffeebohnen auf den Barkeeper gespuckt. Sowas liebe ich an ihr. Auf sowas muss man erstmal kommen. 
Das mit den anderen, das hatte sich so ergeben. Ich war damals schon eine Weile mit Marie zusammen. Es ist nicht so, dass mir langweilig war oder so. Aber es war immer lustig mit denen. Marie war's egal. Und als es ihr nicht mehr egal war, war das mit Greta längst da und das Leben wild. Und lustig. Was auch immer das bedeutet. Und verbieten lasse ich mir schon gleich gar nichts. Ist mir doch egal, ob das altersgemäß ist, oder nicht. Und peinlich hat es sich schon dreimal nicht angefühlt. 
Greta schaut mich so komisch an. "Nein, ich grüble nicht! Ich sinniere!" Als ob das einen Unterschied machen würde. Gretas Wangen riechen nach diesem Parfum, von dem sie weiß, dass es mich wahnsinnig macht. 
Ich frage mich, was sie sagt, wenn ich es ihr sage. Ob sie sagt, sie solle es wegmachen. Ob sie ausflippt oder so. Manchmal wünsche ich es mir. 
Aber Greta ist wie die anderen. Sie nehmen mich auf, ich bin ein Teil dieser Woge, Wochenende für Wochenende. Aber wenn ein Wassertropfen fehlt, verliert die Woge nicht an Wucht. Zwei Euro in das Phrasenschwein. 
Ich kann mir noch gar nicht vorstellen, wer ich dann bin. Und dass ich nichts gecheckt habe solange. Und warum sie so lange nichts gesagt hat. Viel geweint hat sie, aber so sind sie halt, die Frauen, dachte ich mir. Greta ist nicht so. Oder gibt sich nicht so. Nicht mir. Werd es nie herausfinden. Außer sie flippt auch aus, schlägt wie wild um sich, schreit und heult und fleht. Träumerei. Scheiße so oder so. 
"Ich? Cuba Libre. Was sonst?" Greta sieht am Morgen schöner aus als am Abend. Das wollte ich ihr immer sagen. Hab's aber vergessen. Jetzt ist es zu spät. Ihre Haare liegen dann wild und zerwurschtelt über ihre Wangen. Sie schaut mich an. Den Blick kenne ich. Ich könnte kotzen. Nicht heute. Nicht dieser Blick. Wer bist du eigentlich? Sofort sind sie wieder da, die Tiefgarage, der Park und dieses Appartement, in dem es immer nach Essen roch. Nach dem Abendessen der Familie im Parterre. Es roch immer so gut, dass einen der Geruch fast mehr freute, als das, was man drinnen erhoffte. 
"Marie ist schwanger." Ich sage es, ohne irgendeine Reaktion provozieren zu wollen. Ich sage es mehr als Transport einer Information. Ich sage es zu mir selbst, falls ich es bis jetzt noch nicht begriffen habe. Ich sehe, wie die anderen mich anstarren, als hätte ich die Krätze oder sowas. 
Greta lächelt. Sie umarmt mich. Sie küsst mich auf die Wange. "Der Jonas wird Papa! Wie schön! Gratulier dir!"

3 Kommentare:

  1. Ach ja: Diesen grandiosen Text hat man in Wien nicht annähernd für den FM4 Wortlaut berücksichtigt. Der Matthias ist wenigstens auf die Longlist gekommen. Manche behaupten, er schreibt einfach besser.

    AntwortenLöschen
  2. fm4 Wortlaut hat auch eine seltsame Eigendynamik, teils schwer nachvollziehbar, der Text ist trotzdem gut, in sich geschlossen, der Stil assoziativ mit seinen kurzen, abgehackten Sätzen, die angenehm wenig erklären wollen. Man spürt das Gefühl der Unverstandenheit im Protagonisten brennen, den ewigen Spalt zwischen Sehnsucht und Realität. Und dann sind da ein paar Sätze, die über die Kante und für sich alleine stehen wie "Greta sieht am Morgen schöner aus als am Abend, das wollte ich ihr immer sagen", simpel aber eindrücklich. An ein paar Ecken könnte man etwas kürzen, Nebensätze streichen und Füllwörter weglassen, aber das ist dann Detailarbeit, vllt den Titel überdenken, der wirkt etwas sperrig, aber ansonsten ehrliches Lob.

    AntwortenLöschen
  3. ...sagt einer, der es locker lässig in die Top 10 geschafft hat : ) Vielen Dank für die Kritik und herzlich willkommen, Matthias! Bin gespannt, was es von Dir hoffentlich bald zu lesen gibt!

    AntwortenLöschen