Mittwoch, 24. Mai 2017

Mein erster Internationaler Handtuchtag


Mein erster Internationaler Handtuchtag

Mein Freund Alex ist Gitarrist in einer Punkband. Nach einem seiner Krachmacher-Konzerte, saßen wir in unserer Stammkneipe auf den fleckigen Polstermöbeln im blauen Dunst des Zigarettenqualmes. Vermutlich hatte sich der DJ im Tabakpäckchen geirrt, als Alex sich bei den Klängen von Aquarius plötzlich zu mir drehte und fragte: “Kommste mit zum Internationalen Handtuchtag?”

Meine linke Skeptiker-Augenbraue zog sich unweigerlich nach oben.

Ich war gerade dabei, die zweite Flasche Rotwein zu öffnen und fragte schon etwas benommen: “Muss es eigentlich für alles einen Internationalen Tag geben? Tag der Bäume – o.k., Kindertag – o.k., Kusstag – wenn´s sein muss. Aber jetzt auch noch einen Feiertag für Handtücher?” Ich seufzte.

“Es gibt sogar einen Internationalen Tag der Jogginghosen”, erklärt er mir.

“Ach was!”, staunte ich.

“Der ist am 21. Januar, der Jogginghosentag”, fügte er hinzu.

Meine linke Skeptiker-Augenbraue wollte sich gar nicht mehr senken. “Versteh mich nicht falsch”, lallte ich beschwingt vom Wein, “Handtücher sind eine tolle Erfindung. Ich meine, was würde ich ohne ein Handtuch machen, wenn ich nass aus der Dusche steige?”

“Eben”, stimmte Alex zu, “und ich sag dir eins: Handtücher sind eine der ältesten Erfindungen der Menschheit.”

“Ach ja?”, fragte ich desinteressiert.

“Klar, das erste Handtuch war aus Blättern und wurde von einem Steinzeitmenschen erfunden.”

Ich nickte beeindruckt und dachte: Der Alex ist echt ein schlaues Kerlchen. Zumindest nach zwei Flaschen Wein.

“Aber eigentlich ist der Handtuchtag der Gedenktag für Douglas Adams. Wird überall auf der ganzen Welt gefeiert, sogar hier bei uns in der Provinz”, er schaute mich erwartungsvoll an.

Ich überlegte einen Moment und dann fiel es mir ein: “Ach, der Typ, der “Per Anhalter durch die Galaxis” geschrieben hat?”

“Genau!”, bestätigte Alex zufrieden grinsend. “Ein Handtuch ist für jeden Anhalter absolut überlebenswichtig! Und es hat einen hohen psychologischen Wert!”, dozierte er.

“So so”, entgegnete ich zweifelnd. Der hohe psychologische Wert erschloss sich mir im Moment nicht. “Und was macht man an so einem Internationalen Handtuchtag?”

“Im Kurhotel bekommt man einen Pangalaktischen Donnergurgler gratis, wenn man sein Handtuch mitbringt.”

“Wow!”, entgegnete ich begeistert. “Einen Cocktail also.”

“Nicht irgendeinen Cocktail”, korrigierte er mich und zitierte mit verstellt tiefer Stimme aus dem Buch: “Der beste Drink, den es gibt, ist der Pangalaktische Donnergurgler. Die Wirkung ist so, als werde einem mit einem riesigen Goldbarren, der in Zitronenscheiben gehüllt ist, das Gehirn aus dem Kopf gedroschen.”

Ich kicherte albern: “Hört sich ja verlockend an, so ein Goldbarren auf dem Kopf!”

Also stießen wir mit der nächsten Flasche Wein auf alle Weltraum-Reisenden und den Pangalaktischen Donnergurgler an, den wir uns am nächsten Samstag und zwar dem 25.Mai gratis genehmigen würden. Auf dem Heimweg streckten wir albern lachend unsere elektronischen Daumen in die Luft, in der Hoffnung, dass uns ein Raumschiff mit irren Außerirdischen auflesen würde. Dabei grölten wir aus voller Kehle „Völlig losgelöst von der Erde schwebt das Raumschiff“ und „Ich düse, düse, düse im Sauseschritt“…

Am nächsten Samstagnachmittag stand ich im Bad vor dem Spiegel und überlegte: Hatte er gesagt, dass ich das Handtuch nur mitnehmen soll, oder musste ich es mir umbinden? Meine Erinnerungen an die Krachmacher-Nacht waren nur noch vage. Wenn ich mir das Badetuch über die Jeans und die Bluse band, sah das etwas seltsam aus. Aber um den Hals gelegt war es auch nicht besser. Immerhin musste ich ein ganzes Stück durch die Stadt gehen. Ich könnte das Tuch natürlich einfach in meine Handtasche stecken und erst kurz vor dem Eingang des Kurhotels rausholen. Aber vielleicht traf ich ja in der Stadt noch andere Handtuchträger? Dann würde ich die Science Fiction Fans gleich erkennen, sinnierte ich und probierte verschiedene Varianten aus. Was trägt man bloß zu einem Handtuch? Eigentlich nichts. Man bindet es sich nur um, wenn man nackt ist, überlegte ich. Aber nackt durch die Stadt gehen, nur mit einem Handtuch bekleidet? Ich versuchte Alex zu erreichen, aber sein Handy war ausgeschaltet. Ach, was soll´s! Dann eben nackt. Das Handtuch war schließlich groß genug, um es mir umzubinden und die entscheidenden Stellen knapp zu verhüllen. Und welche Schuhe? Zum Handtuchlook würden Badelatschen besser passen, aber mit diesen alten Latschen in der Bar des Kurhotels? Da kamen mir doch Zweifel. Also wohl besser die neuen High-Heels. Noch schwieriger als die Schuhfrage war allerdings die Frage nach der passenden Handtasche. Was trägt frau bloß zum Zebrahandtuch?

Kaum zwei Stunden später, nach reiflichen Überlegungen vor dem Spiegel zum passenden Outfit, verließ ich meine Wohnung also im Zebrahandtuch, schwarzen Stöckelschuhen und einer weißen Lederhandtasche von Gucci. Für einen Tag Ende Mai war es erstaunlich kalt und regnerisch. Statt der Handtasche wäre ein Regenschirm besser gewesen. Ich war mit Alex in einer halben Stunde im Hotel an der Bar verabredet und lief selbstbewusst los. Einige Passanten warfen mir merkwürdige Blicke zu, als ich in meinem Anhalter-Look durch die Fußgängerzone stolzierte. Ich hielt Ausschau nach anderen Handtuchträgern, konnte aber niemanden entdecken. Ein kleines Mädchen rief: “Mami, Mami, die Frau da geht schwimmen, ich will auch baden!” Die Frau zischte dem Kind etwas zu und zog es schnell weiter. Gab es denn in der ganzen Stadt keinen einzigen Douglas Adams Fan?

Meine High-Heels klackerten über den rötlichen glatten Marmorboden der Empfangshalle des Kurhotels. Zwischen den vergoldeten Büsten und überdimensionalen Gemälden mit Stillleben an den Wänden, kam ich mir mit meinem Zebrahandtuch ziemlich klein und irgendwie fehl am Platz vor.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte der Mann am Tresen der Rezeption, während er weiter auf seinen Bildschirm starrte.

„Na raten Sie mal“, erwiderte ich keck und wackelte auffordernd mit der Hüfte.

Der Mitfünfziger warf mir einen flüchtigen Blick zu und fragte: “Wollen Sie zum Psychotherapeuten-Kongress?”

Ich schüttelte den Kopf: “Nein, seh ich so aus?”

Er musterte mich nun aufmerksam von Kopf bis Fuß und wiegte unschlüssig seinen Schädel hin und her.

“Ich bin hier, weil ich einen Pangalaktischen Donnergurgler möchte”, half ich ihm auf die Sprünge und fügte mit Nachdruck hinzu, “gratis!”

Er starrte mich nur schweigend an.

Also wedelte ich leicht mit dem Zipfel meines Zebrahandtuchs. “Naaa?”, sah ich ihn erwartungsvoll an, “klingelt´s?”

“Mmmmhhh”, machte der Mann und fasziniert stellte ich fest, dass auch er über eine linke Skeptiker-Augenbraue verfügte, die sich nun fast bis zum Haaransatz hob, “also der Psychotherapeuten-Kongress ist im Nebengebäude.” Er deutete mit dem Zeigefinger über seine Schulter.

“Gibt es da eine Bar?”, wollte ich wissen.

Er bestätigte das und so machte ich mich schon etwas entnervt auf den Weg zum Nachbarhaus. Plötzlich kam mir ein Gedanke und ich hielt inne: Gab es womöglich diesen Internationalen Handtuchtag überhaupt nicht? War ich nur wieder auf einen von Alex Witzen reingefallen? So wie damals in der Grundschule, als er behauptet hatte, man könnte ein Hühnerei mit der Nachttischlampe ausbrüten. Nach drei Stunden Dauerbestrahlung, hatte mein Kopfkissen Feuer gefangen und lichterloh gebrannt. Oder später beim Schüleraustausch in England, als er mich überredet hatte, in einen der U-Bahn Schächte zu klettern und mit meinem Lippenstift Unverschämtheiten über die Queen an die Scheibe eines Wagons zu schmieren? Das hatte die erste Verhaftung meines Lebens nach sich gezogen.

Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Vor dem Haupteingang des Nebengebäudes stand eine Gruppe Schlips-Träger. Noch hatten sie mich nicht bemerkt. Mein Blick fiel auf eine geöffnete Terrassentür an der Seite des Gebäudes. Kurzentschlossen wählte ich den Weg quer durch die frisch bepflanzten Blumenbeete, bevor die Männer auf mich aufmerksam würden. Ich versuchte möglichst elegant nur wenige Pflanzen mit den Schuhen meiner Wahl zu durchbohren. Um Gleichgewicht bemüht stakselte ich durch die lehmige Erde, in die ich erstaunlich tief mit meinen spitzen Absätzen einsank, als ich plötzlich das Gefühl hatte, ich würde beobachtet. Wie vom Blitz getroffen blieb ich für einen Moment stehen, drehte meinen Kopf in Zeitlupe dem riesigen Panoramafenster zu, vor dem ich stand und starrte durch die Scheibe. Gefühlte hundert Gesichter hatten sich mir zugewandt. Ich bemühte mich in meinem Zebrahandtuch ganz normal zu wirken, grüßte kurz mit einem leichten Nicken und versuchte dabei nicht über die Beetbegrenzung zu fallen. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass einige der Leute mir freundlich zuwinkten und mitfühlend lächelten.

Endlich und etwas außer Atem, erreichte ich mit erdverschmierten Stöckelschuhen und braunen Spritzern bis an die Knie die Terrassentür. Alex saß in Jeans und kariertem Hemd alleine in der hintersten Ecke des Tresens. Aus seiner Brusttasche lugte ein schmaler winziger Frotteestreifen hervor, der noch kleiner als ein Waschhandschuh war.

“Wie siehst du denn aus?”, begrüßte er mich grinsend.

“Halt bloß den Mund!”, rief ich verärgert und hätte ihm am liebsten meine weiße Gucci-Handtasche um die Ohren geschlagen. Der Barkeeper war einer seiner Bekannten und versuchte sich gar nicht erst das Lachen zu verkneifen.

“Komm, Süße, nimm erstmal einen Drink”, sagte Alex schließlich versöhnlich und schlug mit der Hand auf die schwarze Sitzfläche des Barhockers neben sich.

“Ich will nicht irgendeinen Drink!”, entgegnete ich trotzig den Tränen nahe, “ich will einen 1A Pangalaktischen Donnergurgler!”

“Bin schon dabei was auszuprobieren”, beschwichtigte der Barkeeper. Vor sich hatte er bei verschiedenen Flaschen mit Hochprozentigem bereits die Deckel abgeschraubt und begann die Getränke wild durcheinander zu mixen. Nach Goldbarren mit Zitronenscheiben sah das nicht aus. Dennoch ließen wir uns nicht lange bitten und versuchten dem Geheimnis des Pangalaktischen Donnergurglers auf die Spur zu kommen. Wir ließen uns von der Zutatenliste aus “Per Anhalter durch die Galaxis” inspirierten und fachsimpelten, wie das wohl zu übersetzen sei: Eine Flasche alten Janx-Geist, ein Teil Wasser aus den Meeren von Santraginus V, drei Würfel arkturanischen Mega-Gin (ohne dass das Benzin darin verfliegt), vier Liter fallianisches Sumpfgras, ein Teil qualaktinischen Hyperminz-Extrakts, ein Zahn eines algolianischen Sonnentigers, ein Spritzer Zamphuor und eine Olive.

„Die Oliven sind leider aus“, sagte der Barkeeper bedauernd.

Schon bald gesellten sich Teilnehmer des Psychotherapeuten Kongresses zu uns. Sie schienen alle sehr verständnisvoll für Alex Ausführungen zum Internationalen Handtuchtag zu sein und lauschten ihm mit aufmerksamen durchdringenden Blicken, auch wenn ich mir nicht ganz sicher war, ob sie die tiefe Bedeutung dessen, was wir hier taten, wirklich ergründeten. Eine Hommage auf Douglas Adams und alle Weltraum-Reisenden und die, die es gerne werden wollten. Wir waren auf einer Mission!

Später haben wir die offizielle Feier für den Internationalen Handtuchtag doch noch gefunden. Sie fand nicht im Kurhotel, sondern im Parkhotel ein paar Straßen weiter statt. Aber Alex und ich fühlten uns nicht mehr in der Lage hinzugehen, weil uns so schlecht war, außerdem war mir ein Absatz an meinen schicken erdigen High-Heels abgebrochen und wieder einmal stützten wir uns gegenseitig nach Hause. Ich im Zebrahandtuch, für das Alex mir vorsorglich eine Sicherheitsnadel an der Rezeption besorgt hatte, nachdem es in einem Moment der Unachtsamkeit beinahe bis zum Boden gefallen wäre und bei einigen Therapeuten für verstärkten Speichelfluss gesorgt hatte. Alex mit meiner weißen Gucci-Handtasche um den Hals baumelnd. Am nächsten Morgen fühlte ich mich tatsächlich so, als hätte mir einer mit einem Goldbarren in Zitronenscheiben gewickelt auf den Kopf geschlagen. Seitdem ist der 25.Mai als fester Feiertag in meinem Kalender markiert.

Und um es mit den Worten von Douglas Adams zu sagen: „Das hier ist eine verdammt harte Galaxis. Wenn man hier überleben will, muss man immer wissen, wo sein Handtuch ist!“
(Aus: "Alex von der Krachmacher-Band" - Meike K.-Fehrmann)



Montag, 22. Mai 2017

Die Inspirationsschreiber

Wie entsteht eigentlich Literatur? Jaja, durch Talent und harte Arbeit. Soweit sind wir uns einig. Aber wie beginnt eigentlich Literatur? Setzt sich der Autor hin und sagt: So, die Kasse ist leer, jetzt muss ich mal wieder einen Nobelpreis gewinnen - und haut hochmotiviert in die Schreibmaschinentasten? Oder ist da doch etwas anderes: Dieser unbestimmte Funke den manche Inspiration nennen. Der manchmal etwas mit Muse zu tun hat. Oder mit Muße, die man ebenfalls haben muss. Ja, ich oute mich jetzt mal als schrecklicher Inspirationsschreiber. Letztens gestand ich während der Schreibbohéme-Krisensitzung in Würzburg auf der Brücke dem Fabi, dass ich ein miserabler Überarbeiter bin. Jemand, der fünfhundert Seiten über weingetränkte Abende auf Mainbrücken schreiben kann, aber sobald es ums Überarbeiten geht, lieber schnell noch einen zweiten Teil der Brückenschoppen-Trilogie schreibt. 
Wer erbarmt sich also und seziert meine Texte? Ein inspirierter Autor ist ein Nichts ohne einen nüchternen Lektor. Wer rettet die Schreibbohéme?
Aber eigentlich wollte ich ja ganz was anderes erzählen: Vor einem Jahr brachen drei Wochen im Mai über mich herein, die ich zwar nicht mal dem größten Autoren-Feind wünschen würde und trotzdem haben diese drei Wochen einen Inspirations-Schalter umgelegt, der 12 Monate später immer noch pulsierend nachwirkt: 
Eine Melange aus einer Woche Barliano mit Arwed Vogel und den wilden Schriftstellern, zwei Todesfälle und eine Beerdigung sowie eine Lagerfeuer-Lesung bei einem Grassauer Literatur-It-Girl (Lititgirl - (c) by me) vermischten sich in diesem unbegreiflichen Denkorgan zu einer Melange die seitdem Erzählungen am Fließband erzeugt. Alle inspiriert von den selben Ereignisse und dennoch jede für sich völlig unterschiedlich. Ein post-ironischer Pop-Erzähler, ein lethargisch-träger unzuverlässiger und einer, der zu viel Carlos Ruiz-Zafon gelesen hat. Mal will man sich zu Viert in Schwefelquellen stürzen, dann will sich eine Adelige in Mannheim von einem Obelisken aufspießen lassen und am Ende brennen jede Menge Manuskripte, weil das unzensierte Inspirations-Geschreibe ja doch das Schlimmste auf der ganzen Welt ist.
Was wollte ich eigentlich erzählen?
Eigentlich eh nix. Deshalb hier noch ein Text, den ich geschrieben habe als ich NICHT inspiriert war:

Texte mit denen ich den Fm4 Wortlaut nicht gewonnen habe. Teil 2:

Die Secession

"Die Leute sollen ja wie irre Gold kaufen." sagte sie weil sie nicht wusste, was zu sagen war und steckte sich eine Zigarette an. "Wenn links und rechts die Banken zusammenkrachen, heißt es, sei Gold die einzig beständige Wertanlage." Sie lachte. "Glücklicherweise betrifft mich das nicht. Und wenn ich das nötige Kleingeld hätte, würd ich mir eher einen kleinen Bauernhof kaufen. Mit Hühnern, Schafen und Ziegen. Dann kann der ganze Kapitalismus von mir aus in sich einstürzen. Sein wir uns doch ehrlich, mehr als ein Dach über dem Kopf und etwas nahrhaftes zum Essen brauchen wir doch nicht. Alles andere ist doch nur zum Befriedigen der eigenen Gier und Eitelkeit da." Er nickte süffisant lächelnd und sah sie nachsichtig an. Elia verzog das Gesicht. "Ich merk schon, du nimmst mich für nicht ganz voll. Aber glaub mir, wenn das so weiter geht, wird sich jeder wünschen, einen Bauernhof zu Hause zu haben. Und die Herren Millionäre werden ihre Goldbarren aus dem Keller holen und sich damit gegenseitig die Köpfe einschlagen um auch einen Bauernhof zu bekommen. Wirst schon sehen." Ihre Augen verwandelten sich  zu Schlitzen und sie zog an ihrer Zigarette. "Sag mal, Gust, hast du eigentlich dein Kapital schon in Goldbarren umgetauscht?" sie sah ihn herausfordernd an und blies den kalten Rauch in seine Richtung. Es schwang ein stummer Vorwurf in ihrer Stimme der ihn irritierte. Aber so war sie schon immer gewesen, so hatte er sie kennengelernt und in solchen Momenten liebte er sie auf eine unbestimmte Art und Weise noch mehr. Er konnte ein zartes Lächeln nicht unterdrücken. "Meine liebe Elia." antwortete er, "Zum einen gibt es eigentlich gar keinen besseren Zeitpunkt, als gerade jetzt die so vielgescholtenen Aktien zu kaufen. Also werde ich mich hüten, wie diese anderen aufgescheuchten Hühner auf den Goldzug aufzuspringen. Das einzige Gold das ich mir gönne ist als Bestandteil meiner Uhr verarbeitet worden. Zum zweiten", fuhr er fort, "Zum zweiten geht es mir langsam aber sicher extrem auf die Nieren, dass ihr in mir nur ein wandelndes Dollarzeichen seht. Und fang bitte nicht wieder mit meiner Familie an. Du weißt genau, dass ich die Firma nicht übernehmen werde." Sie musterte ihn mit spöttischem Gesichtsausdruck. Neben der Uhr verriet seine auffällig schlampige Kombination seiner Designerkleidung, dass er wie ein Seiltänzer den Spagat zwischen zwei unterschiedlichen Welten versuchte. "Davon spricht doch auch niemand." murmelte sie mit leiser Stimme und sagte: "Weißt du, was mich trotzdem wundert?" Sie stützte ihren Kopf auf ihre Hand zwischen deren Fingern die Zigarette weiter glimmte. "Jemand wie du, der es finanziell rein gar nicht nötig gehabt hätte, findet sofort einen Verlag, landet einen Top 20 Bestseller und verdient zu allem Überfluss sogar noch an den TV Rechten." Sie sah ihn herausfordernd an: "Nicht dass ich dein Buch nicht mag. Aber schau dir den Hans an. Oder den Schöller. Die haben Texte in der Schublade, das musst selbst du zugeben, die haben Substanz, sind einfach wundervoll. Bei denen stecken Jahre an Lebenserfahrung und Weisheit komprimiert auf wenige hundert Seiten beschriebenes Papier. Seit Jahren sind die aus schierem Überlebenswillen dazu gezwungen, den Verlegern in den Arsch zu kriechen ohne auch nur den Hauch einer Chance auf eine halbwegs fair bezahlte Veröffentlichung zu bekommen." Ihre Empörung verfestigte sich in ihren weichen Gesichtszügen und sie sprach mit weit aufgerissenen Augen weiter: "Dann kommt der gut situierte Zampano aus gutem Hause daher, tauscht mit uns zwei, drei durchaus brauchbare Texte aus und was macht er dann? Wechselt von einem Tag auf den anderen seinen Schreibstil auf fürchterlichste Mainstream Belletristik, schreibt einen Liebesroman dem es zwar an Hirn mangelt, jedoch nicht an Schmalz. Denn das tropft aus allen Ecken und Kanten. Und statt diesen irrsinnigen Kitsch in einen finsteren Tresor zu sperren wo er keinen Schaden mehr anrichtet, lässt er die Beziehungen seines Papis spielen und hat innerhalb von kürzester Zeit einen bestbezahlten Buchvertrag und das halbe Land wird mit seinem Liebesschleim überschwemmt. Und da soll man nicht langsam an der Gerechtigkeit der Welt zweifeln?" Sie lachte resigniert auf und sah ihn Kopfschüttelnd an. Gust spürte, dass sich seine Brust langsam begann zusammen zu ziehen, aber er hielt ihrem Blick stand und zündete sich seinerseits eine Zigarette an. Mit Mühe setzte er erneut seinen nachsichtigen Blick auf:  "Meine liebste Elia, ich werde mich bei niemandem, auch nicht bei dir dafür entschuldigen, dass ich mit meinem Buch den Massengeschmack getroffen habe. Ich richte mein Angebot halt gemäß der Nachfrage. Mein Verleger weiß das, schließlich haben wir ja ein gemeinsames Ziel. Ich will von möglichst vielen gelesen werden, er möchte möglichst viel abkassieren. Und umgekehrt." Elia verzog das Gesicht. "Sei mir nicht bös, aber die große Masse steht halt leider oft auf so richtigen Scheißdreck." "Das nennt man Demokratie." entgegnete er und grinste hilflos.
Sie seufzte, warf ihre Zigarette auf den Boden und trat sie aus. Sie lachte nicht. "Hat dir eigentlich schon mal jemand gesagt, dass dich dein Bucherfolg zu einem noch größeren Arschloch werden lassen hat?" Mit wachsendem Entsetzen krampfte sich das Grinsen hilflos in sein Gesicht Elia verdrehte die Augen.  "Ist nicht bös gemeint, aber musste auch mal gesagt werden. Wir sehen uns." sagte sie und verschwand hinter der schweren Eisentüre im Club. Gust sah der Türe zu, wie sie sich knarrend schloss und krachend im Schloss einrastete. Etwas in seiner Brust schmerzte und er wusste nicht, ob er diesen Umstand lieben oder verfluchen sollte. Dieser Schmerz hatte ihn immerhin reich gemacht.
Elia war die Meisterin der schonungslosen Wahrheitsfindung. Ihre Kunst bestand darin die Schwachstellen der Menschen scharfsinnig zu entdecken und sie filterlos zu enttarnen, wenn sie die Notwendigkeit sah. Eine Seele von einer Person, die allein in ihrem Dasein das Gute aus ihrer Umwelt herausholte. Wenn dieses Gute, das sie wie eine Aura vor sich her trug, umkippte konnte sie sich zur kämpferischen Furie verwandeln und sie riss die Masken ab und Fassaden ein. Es machte ihr Wesen aus, dass sie dies tat, nicht ohne selbst entsetzt und verwundet zu sein, sich sofort mühte, die Schäden mit einem wohlwollenden Wort zu beheben oder gar sofort ihre Hilfe zum Wiederaufbau des alten Status Quo anbot. Dass ihre vergifteten Pfeile die sie gegen sein Buch schoss, direkt in eine offene Wunde traf, schmerzhaft und nie verheilt, das wusste sie nicht, konnte sie nicht wissen und sie hätte sich sonst jedes Wort verkniffen.
Gust stieß einen verzweifelten Laut des Lachens aus und schüttelte den Kopf. Er war allein im kühlen Wind des kommenden Frühlings. Allein mit den Geräuschen der Stadt und dem dumpfen Bass des Clubs. Er fragte sich, ob er jemals den Mut aufbrächte, ihr die Wahrheit zu gestehen. Dieses verfluchte Buch, hätte er es doch nie geschrieben. Als sollte ihn diese Erzählung, die er wie ein Getriebener innerhalb vier Wochen in einer Eile aufs Papier gefetzt hatte, als hänge sein Überleben davon ab, bis ans Ende seiner Tage verfolgen. In Kürze würde die Verfilmung auf ORF 2 gezeigt werden und der Hype aufs Neue beginnen. Mit schierem Entsetzen dachte er daran.
Dieses Buch hatte seine Zukunft auf unbestimmte Zeit pechschwarz gefärbt. Dabei entstand es in einer Zeit, die er als gut, als rein empfand und an die er sich wie an einen Rettungsanker klammerte.
Es entstand vor fast einem Jahr. Über ein Internet Netzwerk hatte er nach jungen Menschen in der Stadt gesucht, die ebenfalls schrieben. Emilia und die anderen waren eine kleine Gruppe von ambitionierten aber erfolglosen Schriftstellern, die sich zwei, drei Mal im Monat in den Cafés der Stadt traf um ihre Projekte zu diskutieren. Trotz seiner selbstbewussten Art und seinem rotzigen Schmäh die ihm zu oft als Arroganz ausgelegt wurden, nahm ihn die Gruppe herzlich und vorurteilsfrei auf.
Elia war das einzige Mädchen. Mit Anfang Zwanzig wesentlich jünger als er, verlor er sich sofort in ihrer naiven, liebenswerten Art, die Welt zu sehen. Die Welt wie er sie sah, war von Anbeginn von einer schwarzen Schickt überzogen gewesen und er und er auf der Suche nach seinem Platz darin. Gegensätze bestimmten seinen Weg, die Gesellschaft in die Gust hinein geboren wurde, stempelte ihn rasch zum Träumer und Nichtsnutz ab. Die Subkulturen in die er sich flüchtete, traten ihm gerade wegen seines Status entweder als heuchlerisch und anmaßend oder ablehnend bis feindlich gesinnt gegenüber. Er wurde zu einer jener verlorenen Seelen die nie wussten, ob jemand den Menschen Gust in ihm sah, oder die Firma Kaindl AG in die ihn das seltsame Roulette des Schicksals hineingeboren hatte. Zu bekannt war sein Nachname in der Stadt, dass man ihn nicht mit Geldscheinen, Smoking und fetten Zigarren assoziierte. Um den Fluch seiner Herkunft zu entgehen, begann er irgendwann, sich nicht mehr als Kaindl sondern als Klimt vorzustellen. Er behielt seine Initialen und genoss den Witz, da nur wenige Gesprächspartner den offensichtlich erschwindelten Namen bemerkten. Er wunderte sich nur, dass in dieser Stadt der Name Kaindl so bekannt war, dass man ihm den Klimt eher abnahm als den Kaindl und er sich hinter Klimt wie hinter einer Maske verstecken konnte. Elia durchschaute ihn sofort. "Verzähl kein Kas." sagte sie, als er sich mit Gustl Klimt vorstellte. "Dann bin ich die Adele Bloch-Bauer." antwortete sie. Gust lächelte und betrachtete sie hoffnungsvoll. Mit diesem einen goldenen Satz hatte sie ihn im Sturm erobert.
Elia ihrerseits besah sich diesen jungen Herrn schmunzelnd. "Du schaust mich an als hättet ihr einen Außerirdischen eingeladen." Sie warf einen prüfenden Blick zu ihren Kollegen und zog anerkennend die Augenbrauen nach oben. "Fesch." sagte sie und lachte in sich hinein als habe sie die unpassendste aller Bemerkungen gemacht. "Da ist schon was Wahres dran." erklärte sie, "Einen Jungbanker hatten wir nicht erwartet." Gust sah irritiert an seiner Kleidung hinab. "Ich bin kein Banker." antwortete er verwirrt. "Das war auch nur allegorisch gemeint." sagte sie und in ihr Gesicht zeichnete sich eine warmherzige Güte. "Aufgrund des Textes den du uns im Vorfeld geschickt hast, waren alle einverstanden, dich in unsere Gruppe aufzunehmen." sagte sie und blickte wie zur Bestätigung in die Runde. "Du kannst dir ja denken, dass du nicht der einzige Schreiberling in der Stadt bist und wir unsererseits behalten uns natürlich eine gewisse Exklusivität vor." Sie lachte und ergänzte: "Nicht, dass wir das nötig hätten, aber der Satz klingt einfach zu schön." Gust stimmte in das Lachen ein und fühlte sich selig wie lange nicht. "Aber wir haben Regeln." fuhr sie fort: "Keine oberflächlichen Texte über Nichtigkeiten. Das heißt vor allem", sie sah ihn mit ihren hellbraunen Augen eindringlich an: "Himmelhochjauchzender Kitsch über die Liebe oder sonstige Banalitäten sind absolutes Tabu. Verliebt sein kann jeder und drüber schreiben sowieso und das Resultat meist Mist. Nur merkt das der Autor nie, weil Liebe bekanntlich blind macht. Du hast dieses Thema in deinem Probetext bravorös umschifft, auch ohne diese Information. Bemerkenswert fand ich, dass du scheinbar belangloses erzählst und deine eigentlichen Aussagen in Allegorien wie in einem Gemälde links und rechts des Erzählfadens versteckst. Mit anderen Worten: Willkommen in unserer kleinen aber feinen Gruppe." Als alle klatschten sog Gust die unerwartete Anerkennung wie eine Droge in sich hinein und ein unbestimmtes Gefühl begann in seiner Brust zu glimmen. Er verfing sich in dem warmen Blick des Mädchens das ihm anerkennend zunickte.
Elia war ein junges Mädchen mit dunklen, wachen Augen. Ihre hellbraunen Haare hingen ihr in einem Seitenscheitel ins Gesicht, sie sah etwas jünger aus als es ihre tiefe, bestimmte Stimme vermuten ließ. Gust erkannte schnell, dass sie  bis an die Grenzen der Verletzlichkeit direkt sein konnte, zugleich aber warm und versöhnlich wenn sie diese überschritt. Ein hübsches Mädchen darüber hinaus. Gesegnet mit der Schönheit der Jugend wie viele der Mädchen die Gustls Wege bis dahin gekreuzt waren. Schön und schimmernd waren sie allte gewesen und er war mit Sicherheit der letzte Mensch auf Erden der den schönen Schein verachtete. Hinzu kam jedoch eine kleine aber entscheidende Komponente die zur Folge hatte, dass sich in Gusts Leben einiges änderte. Nämlich alles: Elia war liiert mit einem sympathischen Kerl, der Gustl zwar gerne bei seinem Nachnamen, also mit Klimt ansprach, sich aber von dessen selbstverliebten Art nicht abschrecken ließ und ein guter Zuhörer war. Dennoch wäre es beim großen Nichts geblieben und außer sporadischen Treffen in der Gruppe hätte sie nichts verbunden. Wären sich beide, Gustl und Elia, nicht auf diesem Konzert zufällig begegnet. Beide waren in einer langen Schlange vor den Toiletten eingereiht. "Ich habe gehofft, dass du auch hier bist." rief sie zu ihm hinüber. "Ich wusste nicht, dass du auf Santogold stehst." rief er zurück. "Ich bin ja auch nicht wegen Santogold da, sondern weil ich pinkeln muss." antwortete sie und die Leute um sie herum lachten herzlich. Durch einen seltsamen Umstand löste sich die Schlange vor dem Mädchen WC schneller auf und Elia verschwand winkend hinter der Tür. Als Gustl schließlich über dem Pissoir stand, hatte sich ihr Name, ihre Augen, ihre dunkle Stimme und ihr herzlicher Humor endgültig in sein Herz gebrannt. "Elia." sagte er leise zu sich und sein Nebenbisler sah ihn schräg an. In diesem Moment, als er der gelben Flüssigkeit nachsah, wie sie durch den Rinnsal in einem Loch verschwand, ahnte er bereits, dass ein goldenes Zeitalter im Leben des Gustl Kaindl angebrochen war. Sein Herz hatte auf Sehnsucht umgeschaltet und er wünschte sich nichts sehnlicher als ihr irgendwo in der Halle zwischen den tausenden Menschen wieder zu begegnen. Er würde sie suchen und wenn er dabei das gesamte Konzert verpasste.
Dazu kam es gar nicht. Sie wartete auf ihn auf dem Flur. Ihre Augen lächelten und sie zog die Mundwinkel leicht nach oben. "Hat gedauert." sagte sie und reichte ihm einladend die Hand. Er ergriff sie, um sich von ihr zurück in die Halle führen zu lassen, spürte ihre Selle wie sie durch ihre warme Haut in seine erkaltete Hand in seine Blutbahn übertragen wurde, dann ließ sie ihn wieder los. Wie zwei wissende über ein wundervolles Geheimnis sahen sie sich an und es bedarfte keines physischen Ausdrucks mehr, sie hatte ihn gewonnen und ihre warme Hand wurde zu seinem Sehnsuchtsfanal. Diese unausgesprochene Exklusivität die sie ihm in dieser kurzen Minute gewährte wog schwerer als die tausend Worte die er in den kommenden Wochen aufs Papier bringen sollte. Sie blieben das gesamte Konzert über zusammen, obwohl ihr Freund mit seinen Kumpel irgendwo am anderen Ende der Halle stand. Sie entschied sich für ihn, ließ seine Gegenwart für die eineinhalb Stunden des Konzerts für wertvoller gelten als die ihres Freundes. Sie traf die goldenen Worte die man sagt, um ein Herz zu erobern und er ließ sich still und schwärmend fallen in diese Illusion die in ihrer unerhörten Unmöglichkeit um so schöner war.
Es begannen die großen Tage im Leben des Gust Kaindl. Wie zwei heimlich Verliebte verabredeten sich beide unter dem schönen Deckmantel der Freundschaft regelmäßig und in dieser unausgesprochenen Exklusivität war es verboten, dem anderen einen Korb zu geben.
Von einer Ära spricht man, wenn ein bedeutendes Ereignis das bisherige Leben eines Menschen nachhaltig zum Besseren verändert. Bei einem goldenen Zeitalter ist es genau umgekehrt. Denn danach tritt die Dekadenz ein und es kann nur noch schlechter werden, bis es in der Apokalypse endet. Es gab einen dieser Tage an denen Gust wusste, dass er sich gerade mitten in seinem goldenen Lebensabschnitt befand.  Er hatte mit Emilia einen halben Tag lang zusammen in der Stadt verbracht. Am späten Nachmittag schlenderten sie glücklich, man möchte sagen, selig den Nachmarkt entlang.
"Klimt. Gust Klimt." fragte sie, "Was hat es mit deinem Pseudonym eigentlich auf sich." Seine Augen hellten sich auf und er sah sie aufgelöst an als habe sie ihm gerade den wunderschönsten Satz auf Erden gesagt. "Du bist die erste, die mich danach fragt." Er sah sie mit dieser hilflosen Hingebung an die er sofort mit einem süffisanten Lächeln ersetzte, als sie es bemerkte. "Dass du mich das ausgerechnet hier fragst?" Sie lächelte. "Der Naschmarkt hat etwas damit zu tun?" Gust sah sie mit großen Augen an und spürte in einem beunruhigenden Gefühl, dass sein Herz existierte. "Es hängt doch alles mit allem zusammen. Vielleicht hat uns das Leben gerade deswegen heute, hier und jetzt hierher geführt." Gust seufzte. "Weil du diesen Ort verzauberst." murmelte er kaum hörbar. Er sagte: "Es gibt in der Stadt ein paar Zufluchtsorte in denen ich mich geborgen fühle. Wo ich hingehe, wenn ich traurig bin. Oder wo ich hingehe, wenn ich glücklich bin." "Der Naschmarkt?" fragte sie, stemmte ungläubig ihre Hand in die Hüften und lachte . "Mein Papa hat mich immer dorthin mitgenommen. Ich mochte schon immer den Trubel, die Leute und die exotischen Waren." Er überlegte kurz, dann fuhr er fort: "Vielleicht liebe ich am meisten die Erinnerung. Weil ich hier einmal glücklich war. Wenn man zurückschaut, kommt einem immer alles viel schöner vor als es eigentlich war." Elia lächelte. "Jaja, die Vergangenheit malt sowieso mit goldenem Pinsel. Ist das also deine Verbindung zum alten Klimt?" "Du bist nah dran. Habt’s ihr denn in der Schule nichts gelernt? Der Klimt und der Nachmarkt gehören ja so gut wie zusammen."   Sie schüttelte den Kopf und er ging mit ihr die Häuserfassaden Richtung Innenstadt zurück. Vor dem Secessionshaus blieben sie stehen und er zeigte ihr die vergoldeten Fassaden in der die Abendsonne glänzend glitzerte. Sie sah sich das Gebäude bewundernd an. "Ist schon komisch, da bin ich in der Stadt aufgewachsen und trotzdem scheint es als sei ich jahrelang wie blind durch die Gassen gerannt. Das Haus ist mir noch nie aufgefallen. Sieht echt nach Klimt aus." "Ist auch Klimt drin." antwortete er. Sie sagte: "Ich muss gestehen, dass ich mich mit dem Klimt nie so befasst hab. Mein Ding war eher der Nitsch." Sie lachte wieder in sich hinein. "Ich hör dich förmlich, wie du sagst, geh Elia, das passt ja gar nicht zu dir. Aber das Dunkle, das Unergründliche hat mich schon immer mehr fasziniert." Sie sahen sich einen Moment lang an, dann sagte er:  "Ich mochte schon immer alles was leuchtet. Mit seinem goldenen Pinsel hat der Klimt in Natura eigentlich unhübsche Modelle wie jene Frau Bloch-Bauer in unergründlicher Schönheit auf die Leinwand gemalt. Diese aberwitzige Kombination, mit diesem teuren Material zu malen und der goldenen Hand des Malers haben etwas für die Ewigkeit geschaffen. Was würde ich geben, wäre ich ähnlich talentiert." "Ich weiß ja nicht wie du malst, aber ich finde du schreibst mit Sicherheit nicht schlechter als Klimt." Schmunzelte sie. "Ach halt die Goschn." konterte er und ein schweres Schweigen fuhr zwischen sie, während hinter ihnen die Kuppel in rötlichem Licht von der untergehenden Sonne kündete. Es war nur ein kurzer, schüchterner Kuss aber Gust musste an diesem Tag die bittere Erfahrung machen, dass ein perfekter Augenblick zwar für die Ewigkeit bestimmt ist, aber nie wieder wiederholt werden kann.
Wie nach einem Rendezvous üblich, brachte er Elia bis vor die Haustüre. Das ungeschriebene Gesetz der Exklusivität erlaubte natürlich nicht, ihn hinein zu beten. Aber es erlaubte einen flüchtigen Kuss auf ihre Wange und eine schlaflose Nacht. Gust begann in dieser Nacht zu schreiben.
Die Worte gingen ihm leicht von der Hand, Tag für Tag wuchs es Kapitel, für Kapitel an. Die Erkenntnis, dass in diesem Buch bald alles erzählt war was es zu erzählen gab, traf ihn mit voller Wucht. Als habe er nicht nur ein Buch beendet, fiel er nach dem Tippen des Schlusssatzes in eine unerklärliche depressive Lethargie. In der Runde fragte man ihn, was er derzeit schreibe. "Nichts." sagte er, trug das Manuskript wochenlang in seiner Tasche, ohne es übers Herz zu bringen, Emilia davon zu erzählen. Die Last dieses Textes in seiner Tasche schnürte ihm die Luft zum Atmen ab und als ob er sich davon die endgültige Erlösung erhoffte, beschloss er, das Buch zu veröffentlichen.
Innerhalb weniger Monate wurde das Buch von den Feuilletons verrissen und den Buchhändlern von verzweifelten Hausfrauen aus den Regalen gerissen. Der Erfolg überrannte ihn.
In der Literaturrunde schlug ihm kalte Ablehnung entgegen und man ließ ihm die Enttäuschung über den Vertrauensbruch spüren. "Du unterschreibst einen Buchvertrag und wir erfahren es erst, als deine Fresse meterhoch in den Schaufenstern hängt." schimpfte Emilia. Die anderen, die das Buch teils schon gelesen hatten, schüttelten nur die Köpfe. "Wie ist es denn so?" fragte sie. Die anderen schauten ernst. "Banal. Oberflächlich. Eine fürchterlich kitschige Liebesgeschichte. Tu dir diesen Schund lieber nicht an." Sie sprachen bereits als sei Gust gar nicht mehr anwesend.
Sie baten ihn, nicht mehr zu den Treffen der Gruppe zu erscheinen.
Als hätte er einen pechschwarzen Vertrag unterzeichnet, veränderte sich alles. Er geriet in die Marketingmühlen, wurde durch das halbe Land geschickt und er verschwand. Mit dem Ausschluss aus der Literaturgruppe verlor er auch den Kontakt zu Emilia. Als habe er ihre Exklusivität verschachert. Mit dieser Lüge, für einen Buchvertrag, für den Erfolg, die Lesereise und die pressewirksame Ankündigung der Verfilmung. Die Exklusivität war tot. Er hatte sie nicht wieder gesehen. Bis heute.
Gust blickte auf. Ihn fröstelte. Ein Auto hupte in der Ferne und das Wasser des Kanals gluckste leise. Er öffnete die Tür und ging die Treppe hinunter. Sofort schlug ihm die stickige Luft entgegen. Er zwängte sich an den Leuten vorbei und seine Augen suchten nach ihr. Er entdeckte sie auf der Tanzfläche. Umgehend war er von Tanzenden umringt, er bahnte sich seinen Weg zu ihr. Sie reckte die Hände in die Höhe und sah ihn fragend an, als sie ihn bemerkte. Wie ein regloser Fremdkörper stand er zwischen den sich rhythmisch bewegenden Körpern. Elia hielt inne und verschränkte die Arme. Er erhob die Stimme laut um die Bässe zu übertönen. "Man sollte kein Gold kaufen, weil der Goldwert starken Schwankungen unterlegen ist." rief er. Sie sah in ratlos, fast angewidert an. "Was hat das mit meinem Bauernhof zu tun?" Er verstand, dass die Antwort ihrem typischen Humor entsprach, aber ihre Augen lachten nicht. "Elia bitte." sagte er flehend und reichte ihr die Hand. Sie nahm seine Hand nicht an, folgte ihm aber in einen etwas stilleren Winkel des Clubs. Sie setzten sich auf eine Couch.
"Wie konnte es nur so weit kommen?" fragte er. Ihr Blick war traurig. "Das fragst du? Du hast ja alles was uns irgendetwas wert war, verraten und verkauft. Wir haben uns einfach getäuscht in dir. Du hast uns doch nie wirklich gebraucht und unsere Runde nur dazu genutzt, um dein aufgeblähtes Ego zu stillen." sie holte tief Luft, "Unsere Gruppe stand für schonungslose Offenheit in allen künstlerischen Dingen. Und jeder einzelne versuchte, den anderen auch in Sachen Veröffentlichung unter die Arme zu greifen. Das hat dich doch alles nie interessiert. Als ginge es dir von Anfang an nur ums Geld." "Bin ich so?" er blickte niedergeschlagen zu Boden. "Schau dich an. Jetzt trägst auf einmal Teile die so teuer sind, dass ich ein Monat lang davon leben könnt. Ich hab gelesen, du hast dir jetzt einen BMW gekauft?" "Weil ich ein zuverlässiges Auto brauche, wenn ich auf Lesereise gehe." "Einen Cabrio?" Sie hielt seinem Blick stand und schüttelte enerviert den Kopf. "Weißt du was ich glaube? Du baust dir gerade eine glitzernde Filmkulisse auf, eine Fassade die geradezu schreit: Schauts her, ich bin glücklich, mein Leben ist perfekt. Aber…" Elia suchte in seinen Augen nach irgendeiner Regung und fuhr mit leiser Stimme fort, "Aber das hat in deinem Buch ja auch schon nicht geklappt." Ihre Blicke trafen sich und sie sah ihn an wie jemand der gerade gesteht, das größte Geheimnis des anderen gelüftet zu haben. "Ja, ich habs dann doch gelesen." sagte sie. Gust's Gesicht erstarrte und er schaute reglos ins Leere. Seine Augen begannen silbern zu glitzern und eine Träne rann über die versteinerte Wange. Dann fixierte sie sein Blick wieder. Leise, mit zarter zerbrechlicher Stimme sagte er: "Ich wollte nur in deiner Nähe sein." Er rang nach Worten. "Die Zeit mit dir hat alles wertvoll gemacht. Die Jahreszeit, die Orte an denen wir waren. Du hast mich wertvoll gemacht." er sah sie mit tränenunterlaufenen Augen an. "Was hätte ich auch tun sollen? So jemanden wie dir bin ich noch nie begegnet und werde ich auch nie wieder begegnen." er räusperte sich und sprach mit etwas festerer Stimme weiter. Er lächelte resignierend als er sagte: "Glaub mir, ich hab mich umgeschaut." "Deine warme, ehrliche, herzliche Art ist etwas was meinem Leben gefehlt hat. Fehlt." ergänzte er. "Du bist das wertvollste das ich je gehabt habe." sagte er.
Ihre Pupille zog sich zusammen und sie legte eine ungewollte Schärfe in ihre Stimme: "Aber du hast mich nicht gehabt." sagte sie. "Niemand hat mich."  "Und was ist mit deinem Freund?" Elia sah mit in sich gekehrtem Blick zu Boden. "Wir sind darum so lange zusammen weil wir wissen, dass wir uns nicht gegenseitig gehören." "Warum hast du auf meine Anrufe nie reagiert?" fragte er. Ihr Blick wurde ernst und eine unbestimmte Traurigkeit zeichnete sich in ihrem Gesicht ab. "Anfangs fand ich, dass die anderen überreagierten und einfach nur eifersüchtig auf deinen Erfolg waren." sagte sie. "Dann hab ich das Buch gelesen. Scheiß auf das, was die anderen denken, es war das schönste was ich jemals gelesen habe." Sie wischte sich in einer flinken Handbewegung eine Träne aus dem Gesicht. "Hast du gedacht, ich merke nicht, dass ich mich da rauslese?" "Ich habe nur für dich geschrieben." entgegnete er matt. Ihr Gesichtsausdruck verhärtete sich. "Vielleicht wäre es dir gelungen, dass dieses schöne Märchen in Erfüllung gegangen wäre." sagte sie, "Aber du musstest ja gleich das ganze Land Anteil nehmen lassen. Und den Quatsch den du in den Interviews von dir gegeben hast, hat mir den Rest gegeben." Sie stand auf, warf ihm noch einen verzweifelten Blick zu: "Natürlich ist die Liebe banal. Aber gleichzeitig gibt es nichts Wertvolleres im Leben. Du hast meine verkauft. Steck dir dein ganzes Geld das du damit gemacht hast sonstwohin. Mir ist mein Leben zu wertvoll als dass ich es noch einmal mit dir vergeude." Sagte sie, schüttete ihm ein auf dem Tisch stehendes halbvolles Glas Cuba Libre ins Gesicht und beschloss spektakulär das letzte Kapitel seines zweiten Erfolgsromans.