Mittwoch, 24. Mai 2017

Mein erster Internationaler Handtuchtag


Mein erster Internationaler Handtuchtag

Mein Freund Alex ist Gitarrist in einer Punkband. Nach einem seiner Krachmacher-Konzerte, saßen wir in unserer Stammkneipe auf den fleckigen Polstermöbeln im blauen Dunst des Zigarettenqualmes. Vermutlich hatte sich der DJ im Tabakpäckchen geirrt, als Alex sich bei den Klängen von Aquarius plötzlich zu mir drehte und fragte: “Kommste mit zum Internationalen Handtuchtag?”

Meine linke Skeptiker-Augenbraue zog sich unweigerlich nach oben.

Ich war gerade dabei, die zweite Flasche Rotwein zu öffnen und fragte schon etwas benommen: “Muss es eigentlich für alles einen Internationalen Tag geben? Tag der Bäume – o.k., Kindertag – o.k., Kusstag – wenn´s sein muss. Aber jetzt auch noch einen Feiertag für Handtücher?” Ich seufzte.

“Es gibt sogar einen Internationalen Tag der Jogginghosen”, erklärt er mir.

“Ach was!”, staunte ich.

“Der ist am 21. Januar, der Jogginghosentag”, fügte er hinzu.

Meine linke Skeptiker-Augenbraue wollte sich gar nicht mehr senken. “Versteh mich nicht falsch”, lallte ich beschwingt vom Wein, “Handtücher sind eine tolle Erfindung. Ich meine, was würde ich ohne ein Handtuch machen, wenn ich nass aus der Dusche steige?”

“Eben”, stimmte Alex zu, “und ich sag dir eins: Handtücher sind eine der ältesten Erfindungen der Menschheit.”

“Ach ja?”, fragte ich desinteressiert.

“Klar, das erste Handtuch war aus Blättern und wurde von einem Steinzeitmenschen erfunden.”

Ich nickte beeindruckt und dachte: Der Alex ist echt ein schlaues Kerlchen. Zumindest nach zwei Flaschen Wein.

“Aber eigentlich ist der Handtuchtag der Gedenktag für Douglas Adams. Wird überall auf der ganzen Welt gefeiert, sogar hier bei uns in der Provinz”, er schaute mich erwartungsvoll an.

Ich überlegte einen Moment und dann fiel es mir ein: “Ach, der Typ, der “Per Anhalter durch die Galaxis” geschrieben hat?”

“Genau!”, bestätigte Alex zufrieden grinsend. “Ein Handtuch ist für jeden Anhalter absolut überlebenswichtig! Und es hat einen hohen psychologischen Wert!”, dozierte er.

“So so”, entgegnete ich zweifelnd. Der hohe psychologische Wert erschloss sich mir im Moment nicht. “Und was macht man an so einem Internationalen Handtuchtag?”

“Im Kurhotel bekommt man einen Pangalaktischen Donnergurgler gratis, wenn man sein Handtuch mitbringt.”

“Wow!”, entgegnete ich begeistert. “Einen Cocktail also.”

“Nicht irgendeinen Cocktail”, korrigierte er mich und zitierte mit verstellt tiefer Stimme aus dem Buch: “Der beste Drink, den es gibt, ist der Pangalaktische Donnergurgler. Die Wirkung ist so, als werde einem mit einem riesigen Goldbarren, der in Zitronenscheiben gehüllt ist, das Gehirn aus dem Kopf gedroschen.”

Ich kicherte albern: “Hört sich ja verlockend an, so ein Goldbarren auf dem Kopf!”

Also stießen wir mit der nächsten Flasche Wein auf alle Weltraum-Reisenden und den Pangalaktischen Donnergurgler an, den wir uns am nächsten Samstag und zwar dem 25.Mai gratis genehmigen würden. Auf dem Heimweg streckten wir albern lachend unsere elektronischen Daumen in die Luft, in der Hoffnung, dass uns ein Raumschiff mit irren Außerirdischen auflesen würde. Dabei grölten wir aus voller Kehle „Völlig losgelöst von der Erde schwebt das Raumschiff“ und „Ich düse, düse, düse im Sauseschritt“…

Am nächsten Samstagnachmittag stand ich im Bad vor dem Spiegel und überlegte: Hatte er gesagt, dass ich das Handtuch nur mitnehmen soll, oder musste ich es mir umbinden? Meine Erinnerungen an die Krachmacher-Nacht waren nur noch vage. Wenn ich mir das Badetuch über die Jeans und die Bluse band, sah das etwas seltsam aus. Aber um den Hals gelegt war es auch nicht besser. Immerhin musste ich ein ganzes Stück durch die Stadt gehen. Ich könnte das Tuch natürlich einfach in meine Handtasche stecken und erst kurz vor dem Eingang des Kurhotels rausholen. Aber vielleicht traf ich ja in der Stadt noch andere Handtuchträger? Dann würde ich die Science Fiction Fans gleich erkennen, sinnierte ich und probierte verschiedene Varianten aus. Was trägt man bloß zu einem Handtuch? Eigentlich nichts. Man bindet es sich nur um, wenn man nackt ist, überlegte ich. Aber nackt durch die Stadt gehen, nur mit einem Handtuch bekleidet? Ich versuchte Alex zu erreichen, aber sein Handy war ausgeschaltet. Ach, was soll´s! Dann eben nackt. Das Handtuch war schließlich groß genug, um es mir umzubinden und die entscheidenden Stellen knapp zu verhüllen. Und welche Schuhe? Zum Handtuchlook würden Badelatschen besser passen, aber mit diesen alten Latschen in der Bar des Kurhotels? Da kamen mir doch Zweifel. Also wohl besser die neuen High-Heels. Noch schwieriger als die Schuhfrage war allerdings die Frage nach der passenden Handtasche. Was trägt frau bloß zum Zebrahandtuch?

Kaum zwei Stunden später, nach reiflichen Überlegungen vor dem Spiegel zum passenden Outfit, verließ ich meine Wohnung also im Zebrahandtuch, schwarzen Stöckelschuhen und einer weißen Lederhandtasche von Gucci. Für einen Tag Ende Mai war es erstaunlich kalt und regnerisch. Statt der Handtasche wäre ein Regenschirm besser gewesen. Ich war mit Alex in einer halben Stunde im Hotel an der Bar verabredet und lief selbstbewusst los. Einige Passanten warfen mir merkwürdige Blicke zu, als ich in meinem Anhalter-Look durch die Fußgängerzone stolzierte. Ich hielt Ausschau nach anderen Handtuchträgern, konnte aber niemanden entdecken. Ein kleines Mädchen rief: “Mami, Mami, die Frau da geht schwimmen, ich will auch baden!” Die Frau zischte dem Kind etwas zu und zog es schnell weiter. Gab es denn in der ganzen Stadt keinen einzigen Douglas Adams Fan?

Meine High-Heels klackerten über den rötlichen glatten Marmorboden der Empfangshalle des Kurhotels. Zwischen den vergoldeten Büsten und überdimensionalen Gemälden mit Stillleben an den Wänden, kam ich mir mit meinem Zebrahandtuch ziemlich klein und irgendwie fehl am Platz vor.

„Was kann ich für Sie tun?“, fragte der Mann am Tresen der Rezeption, während er weiter auf seinen Bildschirm starrte.

„Na raten Sie mal“, erwiderte ich keck und wackelte auffordernd mit der Hüfte.

Der Mitfünfziger warf mir einen flüchtigen Blick zu und fragte: “Wollen Sie zum Psychotherapeuten-Kongress?”

Ich schüttelte den Kopf: “Nein, seh ich so aus?”

Er musterte mich nun aufmerksam von Kopf bis Fuß und wiegte unschlüssig seinen Schädel hin und her.

“Ich bin hier, weil ich einen Pangalaktischen Donnergurgler möchte”, half ich ihm auf die Sprünge und fügte mit Nachdruck hinzu, “gratis!”

Er starrte mich nur schweigend an.

Also wedelte ich leicht mit dem Zipfel meines Zebrahandtuchs. “Naaa?”, sah ich ihn erwartungsvoll an, “klingelt´s?”

“Mmmmhhh”, machte der Mann und fasziniert stellte ich fest, dass auch er über eine linke Skeptiker-Augenbraue verfügte, die sich nun fast bis zum Haaransatz hob, “also der Psychotherapeuten-Kongress ist im Nebengebäude.” Er deutete mit dem Zeigefinger über seine Schulter.

“Gibt es da eine Bar?”, wollte ich wissen.

Er bestätigte das und so machte ich mich schon etwas entnervt auf den Weg zum Nachbarhaus. Plötzlich kam mir ein Gedanke und ich hielt inne: Gab es womöglich diesen Internationalen Handtuchtag überhaupt nicht? War ich nur wieder auf einen von Alex Witzen reingefallen? So wie damals in der Grundschule, als er behauptet hatte, man könnte ein Hühnerei mit der Nachttischlampe ausbrüten. Nach drei Stunden Dauerbestrahlung, hatte mein Kopfkissen Feuer gefangen und lichterloh gebrannt. Oder später beim Schüleraustausch in England, als er mich überredet hatte, in einen der U-Bahn Schächte zu klettern und mit meinem Lippenstift Unverschämtheiten über die Queen an die Scheibe eines Wagons zu schmieren? Das hatte die erste Verhaftung meines Lebens nach sich gezogen.

Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Vor dem Haupteingang des Nebengebäudes stand eine Gruppe Schlips-Träger. Noch hatten sie mich nicht bemerkt. Mein Blick fiel auf eine geöffnete Terrassentür an der Seite des Gebäudes. Kurzentschlossen wählte ich den Weg quer durch die frisch bepflanzten Blumenbeete, bevor die Männer auf mich aufmerksam würden. Ich versuchte möglichst elegant nur wenige Pflanzen mit den Schuhen meiner Wahl zu durchbohren. Um Gleichgewicht bemüht stakselte ich durch die lehmige Erde, in die ich erstaunlich tief mit meinen spitzen Absätzen einsank, als ich plötzlich das Gefühl hatte, ich würde beobachtet. Wie vom Blitz getroffen blieb ich für einen Moment stehen, drehte meinen Kopf in Zeitlupe dem riesigen Panoramafenster zu, vor dem ich stand und starrte durch die Scheibe. Gefühlte hundert Gesichter hatten sich mir zugewandt. Ich bemühte mich in meinem Zebrahandtuch ganz normal zu wirken, grüßte kurz mit einem leichten Nicken und versuchte dabei nicht über die Beetbegrenzung zu fallen. Aus den Augenwinkeln sah ich, dass einige der Leute mir freundlich zuwinkten und mitfühlend lächelten.

Endlich und etwas außer Atem, erreichte ich mit erdverschmierten Stöckelschuhen und braunen Spritzern bis an die Knie die Terrassentür. Alex saß in Jeans und kariertem Hemd alleine in der hintersten Ecke des Tresens. Aus seiner Brusttasche lugte ein schmaler winziger Frotteestreifen hervor, der noch kleiner als ein Waschhandschuh war.

“Wie siehst du denn aus?”, begrüßte er mich grinsend.

“Halt bloß den Mund!”, rief ich verärgert und hätte ihm am liebsten meine weiße Gucci-Handtasche um die Ohren geschlagen. Der Barkeeper war einer seiner Bekannten und versuchte sich gar nicht erst das Lachen zu verkneifen.

“Komm, Süße, nimm erstmal einen Drink”, sagte Alex schließlich versöhnlich und schlug mit der Hand auf die schwarze Sitzfläche des Barhockers neben sich.

“Ich will nicht irgendeinen Drink!”, entgegnete ich trotzig den Tränen nahe, “ich will einen 1A Pangalaktischen Donnergurgler!”

“Bin schon dabei was auszuprobieren”, beschwichtigte der Barkeeper. Vor sich hatte er bei verschiedenen Flaschen mit Hochprozentigem bereits die Deckel abgeschraubt und begann die Getränke wild durcheinander zu mixen. Nach Goldbarren mit Zitronenscheiben sah das nicht aus. Dennoch ließen wir uns nicht lange bitten und versuchten dem Geheimnis des Pangalaktischen Donnergurglers auf die Spur zu kommen. Wir ließen uns von der Zutatenliste aus “Per Anhalter durch die Galaxis” inspirierten und fachsimpelten, wie das wohl zu übersetzen sei: Eine Flasche alten Janx-Geist, ein Teil Wasser aus den Meeren von Santraginus V, drei Würfel arkturanischen Mega-Gin (ohne dass das Benzin darin verfliegt), vier Liter fallianisches Sumpfgras, ein Teil qualaktinischen Hyperminz-Extrakts, ein Zahn eines algolianischen Sonnentigers, ein Spritzer Zamphuor und eine Olive.

„Die Oliven sind leider aus“, sagte der Barkeeper bedauernd.

Schon bald gesellten sich Teilnehmer des Psychotherapeuten Kongresses zu uns. Sie schienen alle sehr verständnisvoll für Alex Ausführungen zum Internationalen Handtuchtag zu sein und lauschten ihm mit aufmerksamen durchdringenden Blicken, auch wenn ich mir nicht ganz sicher war, ob sie die tiefe Bedeutung dessen, was wir hier taten, wirklich ergründeten. Eine Hommage auf Douglas Adams und alle Weltraum-Reisenden und die, die es gerne werden wollten. Wir waren auf einer Mission!

Später haben wir die offizielle Feier für den Internationalen Handtuchtag doch noch gefunden. Sie fand nicht im Kurhotel, sondern im Parkhotel ein paar Straßen weiter statt. Aber Alex und ich fühlten uns nicht mehr in der Lage hinzugehen, weil uns so schlecht war, außerdem war mir ein Absatz an meinen schicken erdigen High-Heels abgebrochen und wieder einmal stützten wir uns gegenseitig nach Hause. Ich im Zebrahandtuch, für das Alex mir vorsorglich eine Sicherheitsnadel an der Rezeption besorgt hatte, nachdem es in einem Moment der Unachtsamkeit beinahe bis zum Boden gefallen wäre und bei einigen Therapeuten für verstärkten Speichelfluss gesorgt hatte. Alex mit meiner weißen Gucci-Handtasche um den Hals baumelnd. Am nächsten Morgen fühlte ich mich tatsächlich so, als hätte mir einer mit einem Goldbarren in Zitronenscheiben gewickelt auf den Kopf geschlagen. Seitdem ist der 25.Mai als fester Feiertag in meinem Kalender markiert.

Und um es mit den Worten von Douglas Adams zu sagen: „Das hier ist eine verdammt harte Galaxis. Wenn man hier überleben will, muss man immer wissen, wo sein Handtuch ist!“
(Aus: "Alex von der Krachmacher-Band" - Meike K.-Fehrmann)



2 Kommentare:

  1. Da traut sich tatsächlich eine Frau in unsere gefährliche böhmische Löwenhöhle! Schön, dass Du mitmachst!
    Zwei Dinge, die wir hier noch nicht hatten: Science Fiction und - Humor.
    Bevor gleich eine Diskussion über Pointen, Fanfiction oder naive Protagonistinnen losgeht, würd mich der Hintergrund zum Text interessieren: Teil eines Romans? Skurriler, einmaliger Einfall? Oder autobiographische Nacherzählung : )
    Ich hab in Salzburg übrigens mal einen ähnlich pointierten Text vorgelesen, in dem ich augenscheinlich Wolfgang Schweiger parodierte. Michi war natürlich der einzige der es kapiert hat. Die Kritiker haben mich gnadenlos auseinander genommen ("nette Idee, aber ohne literarische Tiefe"). Ich wurde trotzdem Zweiter : ) Die mit dem Depri-Text hat gewonnen.

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  2. Ich finde ehrlich gesagt, dass lustige Texte viel schwieriger zu schreiben sind als deprimierende. Das ist mir auch bei den Texten der Lizzy aufgefallen und fällt mir immer wieder bei den monatlichen Literaturtreffen auf. Wenn man Menschen zum Lachen bringt, rührt man in ihnen auch etwas an, das "in der Tiefe" liegt. Der Text ist fiktiv, handelt aber von meiner Inspiration oder "Muse", die leider im Februar verstorben ist. Seitdem liegt das Projekt auf Eis. Den Internationalen Handtuchtag gibt es übrigens wirklich! Eigentlich sollte eine Sammlung aus lustigen Erzählungen über "Alex von der Krachmacher-Band", speziell geschrieben für die Bühne (Open Stage usw), entstehen. Der Text ist also vor allem zum Vorlesen vor Publikum gedacht. Eine weitere Erzählung über Alex ist fast fertig und ich habe Ideen für weitere. Aber wenn die Quelle der Inspiration plötzlich tot ist, wird es schwierig...

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